Friday 23 November 2012

China, eine Liebeserklärung

Diesmal habe ich aber wirklich gute Gründe dafür, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Erstens bin ich in den vergangenen 2 Monaten entgegen meinen sonstigen Gepflogenheiten schneller durch dieses gigantische Land gerauscht als die chinesische Staatssicherheit "Free Tibet"-T-Shirt-Träger auf dem Tiananmen Square verhaften kann. So viel zu sehen, so lange Wege (ich weiss nicht genau, wie viele es insgesamt waren, aber sie ein oder andere Nachtzug- oder Busfahrt war schon mal 2000 km lang) so viele Superlative, eine Unesco World-Heritage-Site nach der anderen und nach dem Taj Mahal in Indien mein zweites der 7 Weltwunder auf dieser Reise (Great Wall of China).

Zweitens ist das Internet so lahm wie sonst wohl nur in Burkina Faso, was wenig erstaunlich ist, da es die hier angeordnete "Internetkultur mit chinesischen Besonderheiten" (so der offizielle Sprachgebrauch) mit sich bringt, dass sämtlicher Datenverkehr mit dem Ausland durch drei Knotenpunkte in Peking, Shanghai und Kanton geleitet wird, damit die mehr als 30.000 Schupos der Internetpolizei auch immer alles hübsch mitlesen und ggf. geeignete Maßnahmen ergreifen können (Great Firewall of China). Hierzu ein chinesischer Blogger: "I don't need sex, I get fucked by the government every day".

Und drittens funktioniert Facebook oder Blogspot nur bedingt, aber jetzt bin ich in Hong Kong und hier ist alles ein bisschen anders, daher kann ich mal wieder ein paarZeilen loswerden.

Und jetzt mal schön der Reihe nach. Kaum in China angekommen, schon der erste Knaller. Wach ich morgens in meinem Hostel in Jinghong von einem wahnsinnigen Geballere auf und denke, das ist jetzt Krieg oder ein Terroranschlag oder die Staatssicherheit, die mich abholen kommt, weil ich mir am Abend zuvor hatte erklären lassen, wie man die oben bereits erwähnte Great Firewall technisch umgehen kann. Danach Ruhe und später die Erklärung von meinem Bettnachbarn, dass es nur ein paar Prolls waren, die an einem Sonntag morgen um Acht ihrer Leidenschaft für Feuerwerke nachgehen mussten. Ähnliche Erlebnisse gab es später noch öfter.

Auch sonst geht es ziemlich laut zu. Die Chinesen lieben es, zu singen und zu tanzen. Quasi jede verfügbare freie Fläche, ob lauschiger Park, Betonpflaster vor einer Shopping-Mall oder gleich mitten in der Fussgaengerzone, wird zurTanzfläche und mit chinesischem Zuckerwatte-Pop beschallt. Dazu wird dann, vornehmlich von älteren Damen, ein Formationsgruppengehuepfe-Ringelrein aufgeführt oder ein Standardtänzchen gewagt. Das ist hübsch anzusehen und bisweilen recht ulkig, vor allem, wenn sich auch mal ein paar Herren dazu gesellen und ungelenk mithüpfen. Ich habe so was noch nicht erlebt, wir Deutschen brauchen den Karneval, um uns einmal im Jahr kollektiv der Lächerlichkeit preiszugeben und den Chinesen ist es tagtäglich vollkommen wurscht, dass sie sich öffentlich zum Horst machen. Grossartig, definitiv eine Gute-Laune-Infusion, da braucht es keine Psychotherapeuten mehr. Gehts Euch mal schlecht, fahrt nach China und sucht einfach den nächst gelegenen Park auf und ihr werdet von der Lebensfreude der chinesischen Tanzbären und Hupfdohlen angesteckt!

Eine Variante dieser "Musikkultur mit chinesischen Besonderheiten" ist ein ebenfalls im öffentlichen Raum, bei Wind und Wetter aufgeführter und für westliche Hörgewohnheiten unerträglicher Singsang: Peking Oper. Die Arien werden meist von einem Duo vorgetragen, das sich gegenseitig mittels übelst klingender Verstaerkeranlagen bekeift. Begleitet werden diese chinesischen Volksmusikanten in der Regel von einem 4-5 koepfigen Orchester, deren Mitglieder auf dem Anschein nach (Achtung, hier mal wieder ein super Musikzitat) "selbstgebastelten folkloristischen Instrumenten" vor sich hinquietschen und auffallend häufig "Ronaldinho"-Hüte tragen (???). Mich hat das nur visuell-modisch überzeugen können. Dass sich auch ein Hörgenuss einstellt, dafür reicht die Dauer meinesAufenthaltes wohl nicht aus. Aber sei's drum, lustig ist's alle mal. Und so konnte ich an keinem dieser Freiluftkonzerte vorbeigehen, ohne wenigstens ein paar Minuetchen mitgelauscht zu haben.

In diesem Zusammenhang nicht unerwähnt sollte bleiben, dass Geschäfte in Provinzkaeffern (also kleinere Staedte unter 4 Millionen Einwohner) und C-Lagen gern mit billigem 90er Jahre Trash-Techno beschallt und die Warenvielfalt dieser Einkaufsparadiese von emsigen plateaubesohlten Promobienchen im Minirock lautstark über Mikrophon angepriesen werden. Hierdurch wird ein der Loveparade oder dem Schlagermove nicht unaenhliches Einkaufserlebnis geschaffen, das den Chinesen ihren sauer verdienten Yuan aus den Spendierhosen zieht, anscheinend sehr erfolgreich, denn so viele und so grosse Shopping-Malls wie in China habe ich nirgends auf der Welt gesehen, und ich bin ja nun, ohne angeben zu wollen, mittlerweile doch ein bisschen rumgekommen. An touristischen Orten werden die Promobienchen übrigens durch Reiseleiterinnen ersetzt. Diese preisen die Vorzüge der jeweiligen Sehenswürdigkeit an, natürlich ebenfalls und ausnahmslos über Mikrophon, auch wenn die Reisegruppe nur aus 3 Leuten und einem Durchmesser von einem Meter fünfzig besteht. Immerhin gilt es ja, die Konkurrenzbienchen der anderen Gruppen zu übertönen.

Und der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass die Hupen der Reisebusse so laut sind, dass sich glücklich schätzen darf, wer einen der hinteren Sitzplätze ergattert. Und dass die Chinesen (zumindest die auf Land) ähnlich wie die Inder fortwährend rumspucken und rotzen, was das Zeug hält, dürfte allgemein bekannt sein und verdient hier nur aufgrund der unglaublichen Lautstärke, mit derer sie sich die Kehlen freiräumen, besondere Erwähnung.

Auch sonst ist China eine eigene Welt und unterscheidet sich von allem, was ich bislang gesehen habe. Es war aufregend und Herausforderung zugleich, vom Süden (also Laos) aus über Land ein- und damit zuerst durch tiefste Provinz zu reisen. Das einzig vertraute waren zunächst nur die Unmengen an Volkswagen, die durch die Volksrepublik rollen (womit dann mal geklaert wäre, wem wir zu einem guten Teil unseren Wohlstand zu verdanken haben). Es brauchte tatsächlich eine Woche und mehrere tausend Kilometer bis ich in Kunming, der Hauptstadt der Provinz Yunnan, den ersten Mc Donald's gesehen habe!

Jede Alltäglichkeit geriet anfangs zum Überlebenstraining, ob man nun ein nussfreies Dinner, ein Hostel, Supermarkt oder nur eine Toilette sucht, Englischsprechende Chinesen weitgehend Fehlanzeige, die Städtenamen gleichen sich anscheinend, so dass ich manchmal nicht wusste, ob ich jetzt den richtigen Bus oder Flieger gebucht hatte, und im Supermarkt habe ich anfangs außer Snickers, Cola und Nescafe wirklich kein Westprodukt gesehen. Stattdessen Unmengen an bunten Verpackungen mit Süßigkeiten, deren Inhalt beim besten Willen nicht auszumachen ist. Und weitere Unmengen an Packungen mit getrockneten Morcheln, Würmern und Yak- oder Fleisch von anderen Zotteltieren. Und wenn es überhaupt mal ne englischsprachige Speisekarte gab, dann befanden sich darauf so interessante Dinge wie "Halogen Nanowires Volume Powder", siehe unten. Alles klar?

Das soll jetzt hier keine Beschwerde werden. Im Gegenteil, es ist grossartig, dass die Globalisierung an weiten Teilen eines weltpolitisch und ökonomisch so gewichtigen Landes vollkommen vorbeigegangen zu sein scheint.

Das waren jetzt eigentlich nur die Eindrücke aus den ersten 3-4 Wochen meines Aufenthaltes. Aber da ich ja weiß, dass die meisten von Euch bedauernswerterweise eine geregelten beruflichen Tätigkeit nachgehen müssen und wahrscheinlich laengst schon nebenbei telefonieren oder Emails checken, will ich es hiermit mal gut sein lassen. Teil zwei meines Liebesbriefes kommt dann noch irgendwann vor Weihnachten.

P.S. Bei den anderen Bildern handelt es sich im übrigen lediglich um ein paar Eindrücke, also ohne jeden weiteren tieferen Sinn.